Â
Waldwiesen ... drei naturnahe Wohnquartiere für das 21. Jahrhundert
Â
Städtebauliche Gesamtidee und gestalterisches und räumliches Gesamtkonzept
Der Landschaftsraum des Waldes ist nicht nur das wichtigste landschaftlich-verbindende Element, sondern auch das identitätsstiftende Merkmal, das zusammen mit den neugeschaffenen Wiesen als zentrale, offene Begegnungsflächen den drei Quartieren ihren Namen gibt: Waldwiesen
Mit dem Projekt Waldwiesen werden die Cambrai-Fritsch-Kaserne und die Jefferson-Siedlung ‚zivilisiert’. Auf Basis einer klaren Baufelderstruktur und einer durchlässigen Bebauung, entstehen nacheinander drei eigenständige Quartiere mit der besonderen Atmosphäre des allseits präsenten Waldes. Mit der stadtbauhistorischen Ausrichtung der Baufelder auf die Pauluskirche und den Hochzeitsturm, nehmen die Quartiere den Bezug zur Gesamtstadt auf. Mit der Erweiterung der grünen Übergangszonen in die randständigen Einfamilienhausstrukturen hinein und der Schaffung eines weiteren Grünzuges, der die Kiesgrube mit dem Wald der Ludwigshöhe verbindet, unterstützt der städtebauliche Entwurf die strategischen Ziele des Rahmenplanes und baut diese konkret aus.
Â
Öffentlicher Raum und Freiraumgestaltung
Der Erhalt des historischen Kasernenhofs bildet eine besondere Herausforderung in der Transformation der Kaserne, die 1938 zur Kriegsvorbereitung gebaut wurde. Der Entwurf „Waldwiesen“ negiert diesen militärischen Raum als Stadtraum. Aus einem „Innenraum“ wird ein „Außenraum“. Der alte Appellhof wird zu einem wichtigen Element der übergeordneten Freiraumstruktur. Er schafft neue Zugänglichkeiten und ermöglicht höchste Durchlässigkeit. Hier verknüpft sich nicht nur die Darmstädter Stadtmitte mit den „Waldwiesen“ und der Ludwigshöhe, sondern der neue Ost-West-Grünzug ermöglicht auch die naturräumliche Vernetzung und steigert die Biodiversität. Die Bestandsbäume werden harmonisch in die Planung integriert und durch zahlreiche Neupflanzungen zu einem atmosphärischen, waldähnlichen Hain ergänzt. Leichte topografische Modellierungen zonieren den Raum, schaffen Aufenthaltsbereiche und stellen Sicht- und Raumbezüge her.
Die nord-süd-orientierten, denkmalgeschützten zweigeschossigen Bestandgebäude schaffen in Kombination mit neuen, eingeschossigen Anbauten neue Nutzungsmöglichkeiten und aktivieren als Nahversorger und Ort für neue, soziale Infrastrukturen den öffentlichen Raum. Damit wirken sie im Zusammenhang mit ihren Vorplätzen und Wiesen als wichtige Impulse für das jeweilige Quartier. Die ost-west-orientierten, dreigeschossigen Bestandsgebäude nehmen Sonderwohnformen auf (betreutes Wohnen und Wohnheim für Auszubildende) und bieten u.a. mit ihrem gastronomischen Angeboten im Erdgeschoss, Café und Biergarten aber auch mit einem Radwerkhof wichtige soziale Schnittstellen.
Im ersten Bauabschnitt bietet ein „Marktplatz“ einen großzügigen öffentlichen Bereich vor dem Nahversorger und der „Markthalle“ im historischen Gebäude. Als Pendant dazu sorgt ein neues Zentrum für bürgerliche Initiativen und Coworking im zweiten Bauabschnitt für den öffentlichen Impuls und schafft Frequenz auf dem „Stadtplatz“. Dieser Platz beinhaltet eine kleine Spielfläche sowie ein Wasserspiel. Einheitliche Pflasterbeläge ziehen sich über die Straße hinweg und bilden die Übergänge zu den Wiesen.
Drei neue Waldwiesen bieten den Quartieren jeweils eine zentrale, robuste Freiraumstruktur, die als offene, uncodierte Fläche und Aneignungsfeld flexibel nutzbar ist und sich Veränderungen anpassen kann. Sie dienen der Begegnung und schaffen Raum für Interaktion. Die Wiesen, die sich wie Lichtungen in die vom Baumbestand geprägten Wohnquartiere einfügen, zeichnen sich durch Weite und Großzügigkeit aus. Dies wird durch eine blütenreiche Wiesenansaat noch verstärkt.
Darüber hinaus übernehmen die Wiesen auch funktional eine wichtige Aufgabe. Spielerisch fügen sich Flächen zur Regenwasserversickerung des gesamten Wohngebiets in die Wiesenstruktur ein. Als Obst- und Gartenwiese enthält die nördliche Wiese zusätzlich kleinere Beete und Obstbaumreihen, die den Bewohnern zur Selbstversorgung zur Verfügung stehen. Während die mittlere Wiese den Bürgern stärker als Sport- und Spielwiese zur Verfügung steht, ist die südliche Wiese als Kräuterwiese einheimischen Heilpflanzen gewidmet. Waldwiesen ist damit auch ein aktiver Beitrag gegen das Bienen- und Insektensterben.
Â
Verkehr und Mobilität
Die zeitliche Phasierung und räumliche Zuordnung eines nachhaltigen, zukunftsfähigen Mobilitätskonzeptes ist überaus wichtig.  Dieses Konzept muss noch aktuelle Bedürfnisse (MIV) integrieren, aber gleichzeitig den strategischen Wandel zu autoarmen und autofreien Quartieren vorwegnehmen.
Die dezentrale Bereitstellung von Car- und Bike Sharing-Angeboten in den Quartieren, deren Bündelung mit barrierefrei zugänglichen Straßenbahn-Haltepunkten, sowie zentralen Quartiersgaragen, steigert einerseits die Attraktivität und fördert die Nutzung alternativer Mobilitätsangebote. Andererseits unterstützt dies auch die Begegnung im Quartier, erhöht die Interaktion unter den Bürgern und sorgt für mehr Sicherheit.
Der Entwurf unterscheidet drei Formen von zentralen Stellplatzanlagen. An den Rändern der Quartiere wird das „Parken unter Bäumen“ temporär noch angeboten. Zu einem späteren Zeitpunkt können die Baumdächer auch als Übergangszone in die Waldlandschaft genutzt werden. Oberirdische Parkhäuser sollen im Erdgeschoss mit öffentlichen Nutzungen, Werkstätten, als kleine Gewerbezonen genutzt werden, darüber wird geparkt. Tiefgaragen werden mit ihren Aufbauten und Pfählen zu Energiezentren.
Ein dichtes Netz an Wohnwegen unterstützt diese Begegnungen als shared space, ermöglicht aber jederzeit Umzüge, Rettungseinsätze und Müllentsorgung. Die Mobilität von Fußgängern und Radfahrer*innen steht im Fokus des durchlässigen Wegenetzes, das an das bestehende Rad- und Fußgängernetz angeschlossen ist. Damit werden Lücken im Netz geschlossen und die Rad- und Freizeitmobilität ausgebaut. Es entstehen lokale und regionale Verbindungen entkoppelt vom Autoverkehr für Wanderer, Radfahrer sowie eine Radstation an dem zentralen Straßenbahnhaltepunkt. E-Bike-Ladestationen und durchgängige Trassen fördern die nachhaltige Mobilität.
Für den MIV werden die drei Wohnquartiere mit jeweils einer Schleife erschlossen. Der Durchgangsverkehr von Süden in die Innenstadt ist ausgeschlossen. Das Kreuzen des neuen Grünzugs ist ausschließlich nachhaltigen Mobilitätsformen, wie der Straßenbahn, dem Fahrrad und Fußgängern gestattet.
Für die projektierte Verlängerung der Straßenbahnlinie 3 werden zwei jeweils zentrale Straßenbahnhaltestellen als Verknüpfung an den Schnittstellen der drei Quartiere eingerichtet. Beide Haltestellen binden nahtlos an die neuen Wegeverbindungen an.
Mit der Benennung der Haltestelle im ehemaligen Kasernenhof als Station „Waldwiesen“ erhalten die neuen Wohnquartiere ihre unverwechselbare Adresse in Darmstadt.
Â
Diversität, Funktionalität, Energie und Wirtschaftlichkeit
Auf den Baufeldern bieten unterschiedliche Bautypologien Raum für ein ausdifferenziertes Wohnungsangebot. Dieses Angebot fördert die Vielfalt und eine höhere soziale Mischung.
Während sich drei- bis siebengeschossige Mietwohnungsbauten für unterschiedliche Einkommen und Eigentumswohnungen als freistehende Mehrfamilienhäuser um die Wiesen orientieren, bilden die Einfamilienhäuser mit ihren privaten Außenflächen die Übergangszonen zum Wald. Generationenübergreifendes Clusterwohnen ist ebenso vorstellbar, wie auch herkömmliche Bauherrenmodelle. Die offene Bebauung erlaubt größte Individualität. Ein quartiersgestaltendes Regelwerk wird im weiteren Verfahren den Rahmen für Oberflächenqualitäten, Material und Farbe für Fassaden und den öffentlichen Raum geben.
Insgesamt könnte sich das Projekt Waldwiesen modellhaft und experimentell in die Entwicklung des zeitgenössischen Holzbaus für den mehrgeschossigen Wohnungsbau einreihen und damit verstärkt klimaneutrale Bauformen und Standards ermöglichen.
Die Sonderbauten besitzen als multikodierte Gebäude die Flexibilität, den Funktionsmix an den sich verändernden Bedarf anzupassen. Darüber hinaus fungieren sie als Kristallisations-kerne sowie Landmarken und generieren damit Identität. Funktionale Trennung muss überwunden werden. Es ist Zeit für neue Gebäude, in denen zusammenkommt, was bislang in getrennten Bauwerken an verschiedenen Orten untergebracht wurde. So können z.B. die oberirdischen Quartiersgaragen nicht nur PV-Anlagen auf dem Dach aufnehmen, sondern gleichzeitig die Energiezentrale für ein, mit Geothermie betriebenes Nahwärmenetz bilden.
Um die Erdgeschosse zu beleben können auch Nutzungseinheiten für die soziale Infrastruktur, wie z.B. Kindertagesstätten mit Außenbezug in den Landschaftsraum eingerichtet werden. Hier verbinden sich funktionale Alltagsabläufe auf das Beste miteinander. Anstatt mit dem Auto das Kind zur Betreuungseinrichtung zu fahren, bringt man es zu Fuß zur Kindertagesstätte und holt dann sein (Elektro-)Auto und fährt zur Arbeit